Direkthilfe durch FOUSA – Eine Situationsbeschreibung

Nairobi: Mancher Leser wird sich ob diesem Titel verwundert die Augen reiben, verbindet doch er ein ganz anderes Bild mit Kenia: Sonne, Strand, hübsche Mädchen, All-Inclusive-Hotels – eben Ferien und unbeschwertes Leben.  -  Doch es gibt auch ein anderes Kenia; ein Kenia, in dem Hunger, Not, Elend, Krankheit und Hoffnungslosigkeit den Takt angeben. Von diesem Kenia will ich heute berichten.

Das St. Galler Tagblatt informierte bereits im Juli dieses Jahres über das Projekt FOUSA (Friends of Ulu Settlement Area) und den St. Galler Arzt Dr. med. Daniel Meyer, der zusammen mit Kollegen und Freunden unermüdlich damit beschäftigt ist, die oben beschriebene Not ein ganz klein wenig zu lindern. Ich hatte nun die Möglichkeit, Dr.med. Daniel Meyer und Dr. med. Mark Meier auf einem ihrer Einsätze in Kenia zu begleiten.

Die ersten zwei Tage verbrachten wir in Nairobi – wir wohnten in einem Hotel, natürlich weit unter-
halb dem Standard einer schweizerischen Herberge, sehr einfach aber ohne Ungeziefer. Was sofort auffiel war die Menge der bettelnden Kinder und Mütter, die einen umringten, sobald man das Hotel verliess. Hin und wieder konnte man auch einen in Lumpen gehüllten Menschen erblicken, der sich zum Schlafen einfach auf dem Bürgersteig niedergelegt hatte.

Den zweiten Tag verbrachten wir in einem sog. „mobilen Medical-Camp“, das von FOUSA unterhalten wird. Dieses Camp besteht aus zwei einfachen Zelten am Rande des Slums von Nairobi. Und hier traf man sie: die Ärmsten der Armen, Frauen, vorwiegend Mütter, die in zerschlissenen Sandalen und  löchrigen Gewändern ihre in Fetzen gewickelten Kinder auf dem Rücken tragend von weit her marschiert sind, in der Hoffnung, medizinische Hilfe zu erlangen. Geduldig warteten sie in einer Schlange stehend in der prallen Sonne, bis sie an der Reihe waren. In den Zelten „arbeiteten“ je zwei Ärzte, neben dem schweizerischen Team noch ein Arzt aus Deutschland sowie ein einheimischer Mediziner. Bei Bedarf stand ein Dolmetscher zur Verfügung, da nicht alle Patienten der englischen Sprache mächtig waren. Während die Erwachsenen hauptsächlich Lungenprobleme bis hin zur Pneumonie  und orthopädische Probleme aufwiesen, litten die Kinder vielfach an Lungen- und/oder Augenkrankheiten, Pilzbefall und/oder waren verwurmt. Wer einmal diese grossen, unendlich ausdruckslosen, leeren und traurigen Kinderaugen sah, vergisst diesen Anblick ein Leben lang nicht mehr.

Obwohl mein Bedarf an Elend für diesen Tag eigentlich gedeckt war, bot sich ein einheimischer Mitarbeiter an, uns während einer Pause durch den Slum zu führen. Vorweg sei gesagt, dass ein solches Unterfangen nur bei Tageslicht und nur unter Führung eines Einheimischen vorgenommen werden sollte, da alles andere äusserst fahrlässig wäre und einem versuchten Selbstmord gleichkäme. – Die „Hauptstrasse“ dieses Slums bestand aus einem mehrere Meter breiten, ausgefah-
renen, morastigen Sand/Dreckweg, von dem nach beiden Seiten viele Gässchen und Trampelpfade abzweigten. Beidseits dieser Strasse reihten sich Wellblechhütten, Holzverschläge, containerähn-
liche Behausungen, Lehmhütten und zerfetzte Zelte aneinander, in denen Lebewesen hausten, die man gemeinhin unter dem Begriff „Menschen“ kennt. Würde ein schweizerischer Tierhalter seine Tiere in solchen Unterkünften halten, wäre er innert Stunden eingesperrt. Auf der Strasse und neben den Hütten spielten – im Dreck sitzend – Kinder jeglichen Alters mit Murmeln oder dergl.  Ausgemergelte Ziegen kreuzten den Weg, begleitet von streunenden Hunden oder struppigen Katzen; irgendwo krähte ein Hahn. Vor den Behausungen sassen die Alten auf alten Fässern oder selbstgezimmerten Hockern, ihre Blicke waren scheu bis feindselig, manchmal huschte ein Lächeln über ihren zahnlosen Mund. Vor einem Holzverschlag stand ein alter Mann, kochte auf einem Holzkohlegrill eine Suppe aus Ziegendärme, die er sogar zum Probieren anbot; wenige Meter weiter sah man einen gummibereiften einachsigen Karren, auf dem ein ausgedientes Ölfass montiert und mit Fäkalien gefüllt war. In den tiefen Spurrillen stand Brackwasser, vermischt mit Altöl. Eine alte Frau stand hinter einem wackeligen Verkaufsstand, bot Kohl und Tomaten zum Verkauf an, hinter einer der Hütten wurde dem Geruch nach Gummi oder Altöl verbrannt. Über dem ganzen Slum hing eine süsslich-faulig, krankmachende Gestankswolke.

Zurück zum Medical-Camp sahen wir, dass die Schlange der Wartenden zwar etwas abgenommen hatte und doch war zu befürchten, dass einige der bedauernswerten Menschen den Weg vergeblich gemacht hatten, weil die Medikamente, die hier abgegeben wurden – bei inzwischen tausend behandelten Kranken-, nicht für alle reichen würden. Es musste also selektioniert werden, nur den allerbedürftigsten Kindern konnte heute geholfen werden, da es bereits dämmerte und wir die Gegend vor Einbruch der Dunkelheit verlassen mussten. Die Mütter nahmen dies klaglos zur Kenntnis, sie werden wieder kommen, vielleicht etwas früher, vielleicht reichen dann die Medikamente und die Zeit auch für sie…

In den folgenden  zwei Tagen mussten auch wir uns von all dem Elend erholen, wir wechselten in das
„andere Kenia“ und machten eine Safari. Bei Elefanten, Löwen und Giraffen konnten wir uns gut erholen, sodass wir uns in den verbleibenden Tagen wieder um die Bedürftigen kümmern und die  „Tumaini Secondary School“  - ebenfalls ein Projekt von FOUSA – besuchen konnten. In dieser Schule werden Kinder verschiedener Jahrgänge in drei Klassen unterrichtet. Die Schule ist vergleichbar mit einem Internat, die Schüler/innen lernen und wohnen dort. Da die Eltern – sofern überhaupt  vorhanden – oft mittellos sind, werden die allermeisten Schüler  auf Kosten von FOUSA  dort unter-
richtet. Dass die Schüler/innen willens sind etwas zu lernen, beweist die Tatsache, dass die Tumaini Secondary School im nächsten Jahr beim dann ersten Schulabschluss damit rechnen kann, landesweit zu den besten Schulen zu zählen.

Zwischen Safari und dem Besuch der Tumaini Secondary School hatten wir noch Zeit, in Machakos, einer mittelgrossen Stadt nördlich von Nairobi, den dortigen Markt und das „Machakos District Hospital“ zu besuchen. Obwohl das Spital mit „Level 5“ ausgezeichnet ist, der höchsten Note für ein nicht-universitäres Spital – in der Schweiz vergleichbar mit dem KSSG – hatte man den Eindruck, in einem Feldlazarett des amerikanischen Bürgerkrieges zu stehen. Einfach konstruierte Betten aus Stahlrohre, billigste Matratzen, zwischen zwei Betten auf dem Boden eine grosse Plastikschüssel für die Verrichtung der Notdurft. Jede Operation, jeder noch so kleine Eingriff, kostet Geld und ist vom Patient zu bezahlen. Wer kein Geld hat, ist zum Sterben verurteilt. Manchmal muss ein Bett für zwei Patienten genügen.

Die letzten Tage vor unserer Rückreise verbrachten wir wieder in einem Medical Camp, diesmal weit draussen bei den Menschen im Busch. Und auch hier wieder das bekannte Bild: Kranke, unter- oder fehlernährte Kinder, ausgemergelte Mütter, Elend über Elend. Nachdem das Camp wieder abgebaut war, fand eine Lebensmittelverteilung unter den Bedürftigsten statt. Hierfür hatten einheimische Helfer von Spendengeldern aus der Schweiz grosse Mengen Maismehl gekauft, das wir genau nach Plan in 2-Kilogramm-Packungen verteilten. Den Gesichtsausdruck einer Mutter, umringt von ihren Kindern, bei der Übergabe der 2-Kilo-Packung Maismehl werde ich niemals vergessen – ich war den Tränen nahe.

Am Tag unserer Abreise machten wir uns morgens noch auf, das Maismehl denen zu bringen, die  in-
folge von Alter oder gesundheitlichen Gebrechen nicht in der Lage gewesen waren, es selbst zu holen. Unter Führung eines Einheimischen machten wir uns auf den Weg, über Stock und Stein, vorbei an Dornenbüschen, hinter eingezäunten Viehgehegen, über eine Eisenbahnlinie, durch spärliche Graslandschaft bis wir schliesslich zu einer kleinen Siedlung aus Lehmhütten kamen. Dort trafen wir u.a. auf einen alten Mann, der auf einem Lumpenlager kauerte. Eine Angehörige erklärte uns, er habe „ein schlimmes Bein“. Beim näheren Hinsehen stockte mir fast der Atem: Der Mann hatte an einem Bein sowohl am Ober- als auch am Unterschenkel eine handtellergrosse Brandwunde, den von Schmutz starrenden Fuss umschwärmten Fliegen, aus dem grossen Zehen tropfte der Eiter… Das einzige was wir tun konnten war eine Spitalaufnahme vorzubereiten, selbige im Voraus zu bezahlen und ihm Antibiotika- und Schmerztabletten zu geben. Ob er das Spital erreichen wird, ist jedoch mehr als fraglich.

Warum schreibe ich diesen Bericht?  Ich will aufrütteln, ich will, dass sich die Menschen täglich einen Spiegel vorhalten und fragen, ob sie dieses oder jenes Luxusgut brauchen, während in anderen Teilen der Welt Menschen weniger als nichts haben. Sicher werden jetzt manche sagen, dass es auch in der Schweiz Arme gibt; dies mag zutreffen, doch sind diese „Armen“ im Vergleich zu den Kreaturen in Kenia so unendliche reich, denn sie haben eine Krankenversicherung, sie können und dürfen krank werden, es wird ihnen geholfen. Ferner haben auch die Armen in der Schweiz einen grossen Schatz: Sie alle haben sauberes Trinkwasser - ein Gut, das über Leben und Tod entscheiden kann. Ich möchte, dass sich die Menschen hierzulande darüber Gedanken machen, ob es die neue Skiausrüstung wirklich braucht, ob das TV-Gerät tatsächlich ersetzt werden muss, ob vier Paar Winterstiefel und sieben Handtaschen wirklich sein müssen. Helfen Sie alle mit, damit FOUSA helfen kann. FOUSA ist kein Phantasiegebilde, FOUSA besteht, weil Menschen dahinter stehen. Doch diese Menschen können eben nur helfen, wenn sie durch Spenden unterstützt werden. Deshalb mein Aufruf, meine herzliche Bitte: Spenden auch Sie, helfen Sie mit, das Elend und die Not in der Region ULU in Kenia ein klein wenig zu lindern. Jeder gespendete Rappen, jeder Franken kommt direkt den notleidenden Menschen zugute, es werden keine Verwaltungsgebühren oder sonstiges abgezwackt. Helfen Sie mit, dass sich auch die Menschen in ULU freuen können.

Wilfried E. Härlin, dipl. Pflegefachmann